Die Arbeiter hatten ein Vaterland

Am 17. Juni wird es wieder einen Aufmarsch von Nazis geben.
Anlaß ist der Jahrestag des Aufstandes vom 17.6.1953.
Die Nazis gedenken den Opfern des Aufstandes, da sie diesen Aufstand als einen nationalen sehen. Bürgerliche und linke Gruppen mobilisieren an diesem Tag gegen den Naziaufmarsch und entblößen gleichzeitig ihr Unvermögen sich kritisch mit dem 17. juni auseinander zu setzen.
So wird in bester Feindbildmanier einfach das Gegenteil von dem behauptet was die Nazis sagen und fleißig zu Kampf und Sabotage aufgerufen.
Dass sich die Nazigegner damit auf geschichtsrevisionistisches Glatteis bewegen und sich selber eher lächerlich machen, scheint ihnen egal.
Eine Kritik an diesem Vorgehen stellt der folgende Text dar, welcher die Woche in zwei Versionen verteilt wurde.
“Die Arbeiter haben kein Vaterland”
Dieser Ausspruch ist nicht nur eines der populäreren Marx Zitate, sondern wohl auch eines der überholtesten. Zum einem widerspricht sich Marx selbst mit einem anderen Zitat: “Obgleich nicht dem Inhalt, ist der Form nach der Kampf der Proletarier gegen die Bourgeoisie zunächst ein nationaler.” Die Arbeiter_Innen lassen sich also wohl doch nach nationalen Zugehörigkeiten unterteilen. Zum anderen wurde im 20.Jh nicht nur einmal gezeigt, dass das Proletariat nicht nur den Wunsch nach einem Vaterland hegt, sondern auch bereit ist dies umzusetzen, selbst wenn es den Rückfall in die Barbarei bedeutet.
Oft wird übersehen, dass der Aufstieg der NSDAP der Aufstieg der deutschen Arbeiter und Arbeiterinnen war. Neben der KPD war auch die NSDAP eine Arbeiterpartei, doch während die eine Partei das Land der Arbeiter in der SU sah, verschränkte sich die andere auf Deutschland. Beide Systeme verehrten das schaffende Kapital und beide verdammten das Raffende.
Immer wieder stellten deutsche Arbeiter_innen in der Vergangenheit sich hinter den jeweiligen deutschen Staat und opferten ihr wohl dem der Nation. Sei es der soziale Frieden, der seit 1918 in Deutschland das Wohl der Nation dem Wohl der Menschen überordnet, die nahezu uneingeschränkte Unterstützung des totalen Krieges, oder die schon nahezu pathologische Verehrung Deutschlands zu Fußballturnieren, die deutschen Arbeiter_Innen wollen ihr Vaterland und dafür sind sie bereit so einiges hinzunehmen.
Doch obwohl uns die Geschichte anderes lehrt, wird gerade aus linken Kreisen immer wieder am vaterlandslosen Proletariat festgehalten.
So wird auch zum Jahrestag des 17.6. von Linken Gruppen (in Dresden zB. Die URA) damit geworben, dass die Arbeiter_Innen nichts mit Vaterland zu tun hätten.
Paradoxerweise wird nun versucht mit Hilfe von Geschichtsrevisionismus gegen die Menschen vorzugehen, denen sonst immer Revisionismus vorgeworfen wird, nämlich gegen Nazis.
Alles scheint erlaubt wenn es gegen die Nazis geht und für die Reinwaschung des Kollektivs der Arbeiter_innen, sei es nun das verdrehen historischer Tatsachen oder “[…] die Faust aufs  (Nazi-)Auge”.
Das Nazis auch Arbeiter_Innen seien können scheint außer Frage und so folgt zB im Aufruf der URA schnell utopisches Sinnieren von der “hierarchielosen Gesellschaft” und Kampf. Dieser Kampf ist es, der in konservativen linken Kreisen nicht nur für etwas heraufbeschworen wird, sondern vor allem immer wieder gegen Nazis, gegen Bourgeoisie, gegen Unterdrückung, gegen alles und jeden nur nicht gegen die Mythen von der vaterlandslosen Arbeiterschaft.
In der Thematik zum Aufstand des 17. Juni wird daran angeschlossen, das angeblich die Arbeiter_Innen, die  am 16. Juni 1953 im “Block 40” auf dem Weidenweg nahe der damals  schon fertiggestellten Stalinallee als Erste die Arbeit niederlegten, ebenfalls ihren Traum von der hierarchielosen Gesellschaft verwirklichen wollten.
Außer Acht gelassen werden dabei die  grundlegenden Faktoren, die zum Unmut in der Bevölkerung führten und  erklären, warum gerade die Bauarbeiter auf den Großbaustellen in Berlin anfingen, zu streiken.
Vorausgegangen  war der auf der 2. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 beschlossene “Planmäßige Aufbau des Sozialismus”, welcher zur Folge hatte, dass sich Landwirte, Händler und anderweitig Gewerbetreibende stark  drangsaliert fühlten und somit zur Aufgabe ihrer Betriebe gedrängt wurden. Die im Frühjahr ’53 folgende Nahrungsknappheit und die im Mai  beschlossene Normenerhöhung um 10,3% ohne gleichzeitigen Lohnausgleich  brachten das noch junge sozialistische Test-Fass nun zum Überlaufen. Warum nun aber gerade die Arbeiter und Arbeiterinnen gegen den Staat  auf die Straße gingen, begründet sich damit, dass auf Grund des starken Widerstandes aus der restlichen Bevölkerung heraus die meisten, auf  der Parteikonferenz beschlossenen, Umstellungen zurückgenommen wurden;  mit Ausnahme einer: der Normenerhöhung. Da von dieser direkt nur die Arbeiterschaft in der SBZ betroffen war, verwundert es nicht, dass jene  als Reaktion darauf damit begann, sich zur Wehr zu setzen. Im historischen Kontext ist dies heute als “Volksaufstand 17. Juni” bekannt.
Der Ruf nach Einigkeit und das Bekenntnis zur Nation.
Im  Aufruf der URA Dresden findet sich am Ende des ersten Absatzes die  Aussage, die im Aufruf des “Netzwerk-Mitte” und der NPD dargestellten, Grundanliegen  der Arbeiter, dem Ruf nach Freiheit und Selbstbestimmung“ als dem Ruf  nach “Nationale[r] Souveränität” entsprächen nicht der historischen  Realität. Um diese Traumvorstellung schnell zerplatzen zu lassen, bedarf  es nur einiger Blicke in Dokumente, Akten und Radiomitschnitte aus dieser Zeit. Zitiert sei hier der  RIAS Berichterstatter vom 17. Juni:
„Unter dem Beifall der Bevölkerung in Ost und West sind nun zwei Jugendliche  auf das Brandenburger Tor hinaufgestiegen. Sie arbeiten an den Fahnenschnüren und […] versuchen sich zu schützen vor eventuellen Schüssen des sowjetischen Militärs, das […] in vielleicht 50 Meter Entfernung steht.“  – Jubel – „Nun geht die rote Fahne runter. Die Demonstranten klatschen.  Sie schwenken ihre Hüte. Sie rufen: ,Wir grüßen das freie Berlin.‘“- „Anbrennen! Ne schwarz-rot-goldene, los – wo ist ne schwarz-rot-goldene Fahne […]?“
Auch  die Arbeiter und Arbeiterinnen selbst betonten in ihren Forderungskatalogen  immer wieder, worum es ihnen wirklich ging: Als  politisches Hauptziel wurde die Wiedervereinigung Deutschlands durch freie gesamtdeutsche Wahlen gefordert. “Das Streikkomitee einer Baustelle am 17. Juni in der Stalinallee sprach  sich neben sozialen Verbesserungen für ‘Freie Wahlen für ganz  Deutschland’ aus.”
“Die Funkwerker in Berlin-Köpenick beschlossen auf  einer Betriebsversammlung einen Demonstrationszug mit folgenden  Zielsetzungen:
´1. Garantierung unserer Verfassung – die jetzigen  Regierungsfunktionäre sind keine Garantien und müssen abtreten.
2.  Für die Einheit Deutschlands.
3. Für freie gesamtdeutsche Wahlen.´”
Im  Kontext des erst acht Jahre zuvor besiegten und zerschlagenen Dritten  Reiches erscheint die Vorstellung, die Menschen hätten sich nach einem  demokratischen Deutschland gesehnt, als äußerst brisant. Vor allem auch, da auch die deutsche Arbeiterschaft diejenigen demokratisch legitimierte, denen nach 1945 immer gern die alleinige Schuld zugespielt worden war.  Nichtsdestotrotz bildet jene Vorstellung heutzutage die Grundlage für viele (städtische) Gedenkzeremonien anlässlich des 17. Juni. Ebenso absurd und haarsträubend ist die Vorstellung, es habe sich um den Wunsch nach einer befreiten Gesellschaft oder dergleichen gehandelt und dem Kampf dafür.. Der Großteil dessen, was sich da zusammenrottete, um einen weiteren nationalen Umsturz zu versuchen, nach der Konstruktion Deutschlands und des Deutschen Volkes im 19. Jh, sind  auch genau die Deutschen, die sich in klarer Tradition zum deutschen Weltmachtanpruch, zu deutschen Vernichtungsphantasien und demgemäß  in letzter Konsequenz auf einer Linie mit Auschwitz befinden. Damit ist die Realität des “Arbeiteraufstandes” sehr weit von dem entfernt, was von Linken und Bürger_innen herbeihalluziniert wird.
Ein  Paradebeispiel dafür bieten die Vorgänge in der östsächsischen  Kleinstadt Görlitz. Schon am frühen Morgen des 17. Juni war es den Aufständischen gelungen, die Stadt komplett unter ihre Kontrolle zu bringen. Es wurde ein neuer Oberbürgermeister eingesetzt und sogar ein neuer Polizeichef. Neben den “Standartforderungen”, die sich in der gesamten SBZ finden ließen, kam hier ein prägnanter Punkt hinzu: die  Aufständischen sprachen sich für die Revidierung der gerade einmal acht Jahre alten Oder-Neiße-Grenze aus. Die Forderungen nach dem geeinten Vaterland, nationaler Souveränität und der Hass der den  Befreiern – oder eben Besatzern – entgegenschlug, sind kein Einzelfall.  Sie lassen sich flächendeckend finden und sind somit repräsentativ für  den sogenannten “Arbeiteraufstand”. Dies entmystifiziert ihn als das, was er war: ein Volksaufstand für ein geeintes, souveränes (Groß-)Deutschland.
Fazit:
Es darf nicht sein, dass Geschichte verdreht wird um Argumente gegen Nazis zu konstruieren. Um die Vorgänge des 17.6.1953 zu kritisieren, ja um sie erstmal zu begreifen, bleibt nichts Anderes übrig als der Leugnung des nationalen Charakters des Aufstandes einen Riegel vorzuschieben und den linken Traum von der emanzipatorischen, die befreite Gesellschaft  anstrebenden Arbeiterschaft der DDR zerplatzen zu lassen. Wer noch immer an  “Revolution” oder gar an der altbackenen und überkommenen,  gleichsam mystifizierten Geschichte der Arbeiterschaft festzuhalten sucht, der soll seine buchstäbliche Geschichtsvergessenheit ums Maul geschmiert bekommen.
Der  17. Juni ist weder ein Tag für heroische Inszenierungen der Arbeiterklasse (wie von den Nazis betrieben) oder der Huldigung der angeblich demokratischen Ziele der Aufständigen, sondern sollte ein Tag sein an dem sich mit der post-nazistischen Geschichte der DDR, mit den (Grausamkeiten und) Schrecken des Stalinismus und dem regressiven Potenzial des vermeintlich revolutionären Subjekt namens “Proletariat” auseinandergesetzt wird.
Die kommunistische Utopie einer Welt ohne Schmerz, in der man ohne Angst verschieden  sein kann (Adorno), darf dabei nicht verabschiedet werden, sondern bleibt das erklärte Ziel.
Wer also am 17. Juni den Aufständischen gedenkt und die Opfer ohne inhaltliche  Auseinanderzetzung betrauert verklärt die Geschichte der Arbeiterschaft und verkennt den historischen Gehalt des Vaterlandes, das die Arbeiter und Arbeiterinnen gefunden hatten: das nationalsozialistische Deutschland.
Eine radikale Kritik an bestehenden Verhältnissen kann nur erfolgen, wenn der linkskonservative Mythos vom guten Proletariat aufgebrochen wird und nicht nur Arbeiter und Arbeiterinnen, sondern vor allem auch die Arbeit an sich Teil einer umfassenden Kritik unterzogen werden und endlich akzeptiert wird:
Die Arbeiter hatten ein Vaterland!
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