ACTATTACKAKACKA – Wenn Egoismus und Halbwissen Politik machen

Seit dem 10.2.2012 gibt es die Möglichkeit unter folgender Adresse eine Petition zum “Aussetzen der Ratifizierung von ACTA” zu unterzeichnen:

https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=22697

Allerdings möchte ich nun nicht dazu verleiten sofort zu unterschreiben, sondern dazu aufrufen, sich erst einmal Gedanken über die Aussage der Petition in Bezug auf ACTA an sich zu machen.

Zuerst sei allerdings gesagt, dass zu dem Zeitpunkt an dem die Petition eingereicht wurde, die Ratifizierung von ACTA durch Deutschland bereits gestoppt war, wie es auch in anderen Ländern der Fall war.

Als erstes heißt es in der Begründung zur Petition:

Das -Anti-Counterfeiting Trade Agreement- (ACTA) wird seit geraumer Zeit hinter verschlossenen Türen beraten.
Die Öffentlichkeit wurde bis heute nicht über die tatsächlichen Inhalte und die damit verbundenen Folgen informiert.

Die mir vorliegende ACTA Version ist vom 23. August 2011 und ich habe sie mir kurz darauf aus dem Internet heruntergeladen, wo sie frei für jeden Menschen zugänglich ist. Dies widerspricht schonmal dem Vorwurf, die Öffentlichkeit sei nicht informiert worden.

Dazu muß aber gesagt werden, dass es vor den ersten Veröffentlichungen längere Verhandlungen über ACTA gab. Seit 2010, nach einer Forderung des europäischen Parlamentes, wurde ACTA das erste mal öffentlich gemacht. Aber wie stellen sich das die Menschen vor? Bevor etwas vorgelegt werden kann, bzw. veröffentlicht werden kann, muß erst einmal etwas da sein. Wann denn der erste ACTA Text nun wirklich fertig war, lässt sich abschließend nicht wirklich sagen, dennoch hätte es nicht so lange dauern müßen bis zu ersten Veröffentlichungen zu der Thematik. Auf der anderen Seite stellt sich dann die Frage, warum ACTA jetzt erst als Problem öffentlich wahr genommen wird, wenn es schon länger zugänglich ist.

Desweiteren erklärt die Petition:

Die bisher bekannten Inhalte sind zum Teil so “schwammig” formuliert, dass Rechtssicherheit für den deutschen Bürger verloren geht.

Diese Ängste scheinen mir in erster Linie durch mangelnde Kenntnis der Rechtslage geprägt zu sein. Erstens ist ACTA kein Gesetz sondern ein völkerrechtlicher Vertrag in Form eines Handelsabkommens. D.h. rechtlich betrifft dieser Vertrag in erster Linie den ratifizierenden Staat und nicht den Bürger_Innen. Erst wenn der Staat Gesetze verabschiedet, um eben im betreffenden Vertrag Ausgehandeltes umzusetzen, sind die Bürger_Innen davon betroffen. Im übrigen sind es auch nicht nur die “deutschen Bürger” die betroffen wären.

In Deutschland und der EU gibt es nun aber den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz (unter anderem Art. 103 GG), welcher besagt, dass Gesetze eben nicht “schwammig” sein dürfen. So hat das BVerfG zB. 1983 das Volkszählungsgesetz verworfen, da

der auskunftspflichtige Bürger die Auswirkungen dieser Bestimmung nicht mehr zu übersehen vermag.

Sollte also ACTA wirklich ratifiziert werden und sollte sich dann etwas finden, was im deutschen Recht nicht bereits geregelt ist, dann dürfte ein entsprechendes Gesetz diesem Bestimmtheitsgebot nicht zuwider sein.

Als nächstes wird erklärt:

Tatsächlich wird mit den aktuellen Formulierungen
die Informationsfreiheit im Internet beschnitten.

Dieser Vorwurf spricht in erster Linie eine Passage in ACTA an, welche, nach Antrag einiger Fraktionen im EU Parlament, bereits 2010 wieder aus ACTA entfernt wurde. Unter anderem wird nun immer noch propagiert aufgrund von ACTA würden einfach so Internetsperren verhängt oder der Datentransfer überwacht. Nicht nur findet sich eben diese Passage nicht mehr in ACTA und steht somit auch eigentlich nicht mehr zur Debatte, sondern es wäre auch ein Verstoß gegen das Grundgesetz bzw. EU Recht.

Informationsfreiheit ist in Deutschland durch Art. 5 im Grundgesetz und in Europa in Art. 19 Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte verankert. D.h. sollte ACTA wirklich solche Forderungen enthalten, könnten entsprechende Gesetz in Dt oder Europa erst nach der Änderung der Grundrechte umgesetzt werden. Daran besteht allerdings kein bzw. nicht genügend öffentliches Interesse. Im Falle der Vorratsdatenspeicherung hat dazu der EU Gerichtshof explizit darauf hingewiesen, dass mit ihnen solche Änderungen nicht zu machen seien und den besonderen Schutz der Menschenrechte in Form der Informationsfreiheit hervorgehoben. Deshalb würde ACTA nie mit irgendwelchen Klauseln, die die Anonymität von IP Adressen nur wegen Verdachtsäußerungen aufheben bzw den Datenverkehr überwachen oder einschränken, wirksam werden.

So verpflichtet sich auch ACTA in Art. 27 Abs. 3

Grundsätze wie freie Meinungsäußerung, faire Gerichtsverfahren und Schutz der Privatsphäre zu beachten.

Auch der nächste Vorwurf,

das seit langem reformbedürftige Urheberrecht festgeschrieben, statt es an die gewandelte Medienlandschaft anzupassen,

wirkt eher seltsam.

Das Urheberrecht ist hier in Deutschland und der EU bereits festgeschrieben. Selbst mit ACTA würde sich da nichts großartig ändern, da das Urheberrecht nirgends auf der Welt einen so hohen Schutz genießt (in einzelnen Teilen vielleicht in den USA).

Wenn Mensch nun betrachtet welche Ansprüche ACTA und damit die ratifizierenden Staaten an sich selber erheben, nämlich

das Problem der Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums, einschließlich im digitalen Umfeld erfolgender Rechtsverletzungen, insbesondere im Hinblick auf das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte so zu lösen, dass die Rechte und Interessen der jeweiligen Rechteinhaber, Dienstleister und Nutzer miteinander ins Gleichgewicht gebracht werden,

erscheint es eher unsinnig ACTA verbieten zu wollen.

Wäre nicht eine Petition sinnvoller, die fordert ACTA noch einmal zu überarbeiten und es den wirklichen Bedürfnissen anzupassen?

Und auch dies hier lässt mich stutzig werden:

der Einsatz von Generika-Medikamenten in Entwicklungsländern erschwert bzw. unmöglich

Wieso nur Entwicklungsländer? Hierzulande sind entsprechende Patentregelungen so ausgelegt, dass aufgrund der Zeitspanne von mindestens 15 Jahren Patenschutz und dem langwierigem Zulassungsprozess kaum ein wirtschaftlicher Vorteil für den Verbraucher in Form von sinkenden Preisen durch Konkurrenz entsteht. Auf der anderen Seite sind selbst heimische Generika noch weit überteuert im Gegenzug zu ihren importierten Marktkontrahenten, die zumeist aus Entwicklungs- oder Schwellenländern stammen.

Und abschließend:

Um nicht den Anschein zu wecken, dass mit diesem Regelwerk Maßnahmen mit Gesetzeswirkung an deutschen BürgerInnen vorbei entschieden werden, muss die Ratifizierung ausgesetzt werden.

Hier wird nichts an den Bürger_Innen vorbei entschieden. Wie oben gezeigt, haben bereits gewählte Volksvertreter_Innen auf ACTA eingewirkt und so bedenkliche Passagen entfernt. Auf der anderen Seite hat ACTA auch keine Gesetzeswirkung und wie oben beschrieben, unterlägen Gesetze, die aufgrund von ACTA geschaffen werden könnten, genauen Richtlinien, die eben diese “am Bürger vorbei Entscheidung” verhindern.

Als ich die ersten Anti-ACTA Videos, Flyer und Hetzschriften vor mir sah, schwante mir schon, dass hier eine Gruppe von Menschen versucht ihre eigenen egoistischen Interessen unter zuhilfenahme von populistischem Getöse durchsetzen will. Nicht nur trieft diese ganze Kampagne vor Unkenntnis von rechtsstaatlichen Prinzipien und mangelndem, grundsätzlichem Wissen über Gesetzgebungsverfahren in EU und Deutschland etc.. Sie beschränkt sich auch hauptsächlich darauf die “schwammige” Rechtssicherheit des Internets abzufeiern.

Da der Protest hauptsächlich von den Piraten und Anonymous getragen wird, erlaube ich mir mal ihn so zu charakterisieren, dass eine Gruppe von Nerds alles daran setzt ihr digitales Refugium vor den Bedürfnissen der Öffentlichkeit zu verteidigen um so weiterhin, möglichst unbehelligt an ihre “Warez” (illegal verbeitete Software, Filme, Musik, etc) zu gelangen. Andere, wohl auch wichtigere Themen, wie zB. Generika, Lizenzierung von Saatgut, Modernisierung des Urheberrechts, etc. spielen im breiten, öffentlichen Protest kaum eine Rolle bzw. werden nicht ausreichend angesprochen und/oder wahr genommen.

Auch diese Petition folgt ganz der Linie der Kampagne. Sie ist ein Beispiel für gefährliches Halbwissen und die Arbeit von Lobbyisten. Den Lobbyisten von zB großen Medienunternehmen stehen hier die Lobbyisten der nicht minder egoistischen Internetgemeinde gegenüber. Mit wirklicher Kritik des Vertragsinhaltes, geschweige denn mit Kapitalismuskritik, haben die Anti-ACTA Proteste kaum etwas zu tun.

Daher ist meine Empfehlung diese Petition nicht zu unterzeichnen, aber weiterhin auf Unzulänglichkeiten bei ACTA, aber auch bei den Gegnern, hinzuweisen.

Wir benötigen weltweit einheitliche Regelungen zu den Themen die in ACTA angesprochen werden, nur müßen die der heutigen Zeit und den modernen Bedürfnissen und damit vor allem den Menschen angepasst sein.

 

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